Am 14.06.2017 hat das Landgericht Potsdam zum ersten Mal über sieben verschiedene Klageverfahren gegen die Mittelbrandenburgische Sparkasse verhandelt, bei denen es um die Frage ging, ob die Darlehensnehmer einen Verbraucherdarlehensvertrag wirksam widerrufen haben, der jeweils zwischen dem 11. Juni 2010 und 20. März 2016 zwischen den Darlehensnehmern und der Mittelbrandenburgischen Sparkasse abgeschlossen worden ist.

Den Verfahren war allesamt gemein, dass es um Verbraucherdarlehen gegangen ist, die nach dem 10. Juni 2010 zur Finanzierung einer Immobilie aufgenommen worden sind und die durch eine Grundschuld abgesichert waren, so genannte Immobilien-Darlehensverträge.

 

  • Worum es geht

 

Die Mittelbrandenburgische Sparkasse hatte jeweils eine Widerrufsbelehrung verwendet, in der u.a. aufgeführt gewesen ist, dass die Frist für den Widerruf erst dann beginne, wenn der Darlehensnehmer im Darlehensvertrag alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten habe und als Beispiel hierfür u.a. auch die Angabe der für die Sparkasse zuständigen Aufsichtsbehörde genannt. Im Darlehensvertrag war die zuständige Aufsichtsbehörde jedoch nicht aufgeführt.

Dem Bundesgerichtshof lag eine solche identische Widerrufsbelehrung der Sparkasse bereits zur Prüfung vor, er hat in seiner Entscheidung vom 22.11.2016, XI ZR 434/15, ausgeführt, dass die Widerrufsbelehrung an sich nicht fehlerhaft sei. Durch die freiwillige Angabe der Sparkasse, dass die Widerrufsfrist aber erst dann beginne, wenn dem Darlehensnehmer die zuständige Aufsichtsbehörde im Darlehensvertrag mitgeteilt werde, habe die Sparkasse ihren Kunden das von den Darlehensnehmern angenommene vertragliche Angebot unterbreitet, das Anlaufen der Widerrufsfrist von der zusätzlichen Erteilung dieser Angabe im Immobiliardarlehensvertrag abhängig zu machen.  Da die zuständige Aufsichtsbehörde nicht im Darlehensvertrag stehe, habe die 2-wöchige Frist für den Widerruf noch nicht zu laufen begonnen, der Widerruf könne daher auch noch Jahre später erklärt werden.

Der Bundesgerichtshof hat den Rechtstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Oberlandesgericht habe der Frage nachzugehen, ob sich die Kläger im Zusammenhang mit der Ausübung des Widerrufsrechts rechtmissbräuchlich verhalten haben und welche Rechtsfolgen ein wirksamer Widerruf habe.  

In den Verhandlungen vor dem Landgericht Potsdam hat sich die Kammer dieser Begründung des Bundesgerichtshofs angeschlossen: Da die Sparkasse die zuständige Aufsichtsbehörde nicht im Darlehensvertrag genannt habe, wäre die jeweilige Widerrufsfrist von zwei Wochen nicht angelaufen, die jeweiligen Kläger hatten die Widerrufe der Verträge daher noch Jahre später – auch heute noch – widerrufen können.

Entsprechend der Entscheidung des BGH reiche es für ein Anlaufen der Frist auch nicht aus, dass die Sparkasse die zuständige Aufsichtsbehörde teilweise im Zuge der Erfüllung ihrer vorvertraglicher Informationspflichten im Europäischen Standardisierten Merkblatt (ESM) genannt habe. Die Richter führten aus, dass der Widerruf daher grundsätzlich auch Jahre später noch fristgerecht ausgeübt werden könne.

Allerdings könne aber ein etwaiger Rechtsmissbrauch vorliegen, wenn in dem Europäischen Standardisierten Merkblatt (ESM), das einige der klagenden Verbraucher im Rahmen des Vertragsschlusses unstreitig erhalten haben, die zuständige Aufsichtsbehörde genannt worden sei.

Hier unterschieden sich die Fälle und der Vortrag der Kläger voneinander:

Bei einigen Klägern war das Europäische Standardisierte Merkblatt (ESM) Bestandteil des Vertrages oder wurde vor Vertragsschluss unstreitig ausgehändigt. Teilweise stand in den Verträgen oberhalb der Vertragsunterschrift des Kunden, dass dieser das ESM erhalten und zur Kenntnis genommen habe.

Das Landgericht Potsdam hat darauf hingewiesen, dass in den Fällen, in denen die Übergabe des ESM streitig sei, die Beweislast bei der Sparkasse liege, ob der Darlehensnehmer dieses tatsächlich erhalten habe. Sollte sich herausstellen, dass der Verbraucher das Merkblatt mit Nennung der Aufsichtsbehörde nicht erhalten habe, würde der Klage stattgegeben werden. Ebenso natürlich, wenn die Aufsichtsbehörde gar nicht im Merkblatt steht.

Sollte eine Beweisaufnahme ergeben, dass der Verbraucher das Europäische Standardisierte Merkblatt erhalten habe, könnte sich die Frage stellen, ob der Widerruf rechtsmissbräuchlich sei. Dann stehe die zuständige Aufsichtsbehörde zwar nicht im Darlehensvertrag, der Kunde hätte die Aufsichtsbehörde aber aus dem ESM entnehmen können. Über die Frage des Rechtsmissbrauchs in einer solchen Konstellation habe der BGH noch nicht entschieden, diese Frage sei für beide Parteien offen. Die Richter wüssten auch noch nicht, ob sie dann ein rechtsmissbräuchliches Verhalten annehmen würden oder nicht, letztlich werde es eine Frage des Einzelfalls sein.

 

  • Die wirtschaftlichen Folgen eines erfolgreichen Widerrufs

 

Sollte der Widerruf wirksam sein, führt dies zu einem Rückabwicklungsverhältnis mit diesen wirtschaftlichen Folgen:

Im Zuge der Rückabwicklung darf die Sparkasse / Bank grundsätzlich die Rückführung der hingegebenen Darlehensvaluta sowie eine Nutzungsentschädigung für den hingegebenen Darlehensbetrag verlangen. Im Gegenzug sind die von dem Kunden geleisteten Zins- und Tilgungsleistungen zu erstatten.

Da sich der Anspruch der Bank auf Nutzungsentschädigung meist mit der Höhe des Vertragszinses deckt, wird üblicherweise die Aufrechnung mit den eigenen Forderungen gegen die Forderungen der Sparkasse / Bank erklärt, der Kunde schuldet nach der Aufrechnung im Wesentlichen die Rückführung der noch offenen Darlehensvaluta.

Der Kunde hat allerdings auch noch einen Anspruch auf Nutzungsersatz, d.h. er kann für die von ihm geleisteten Raten einen Zinsanspruch von 2,5 % über dem Basiszinssatz verlangen, meist ein Betrag im vier- oder fünfstelligen Bereich.

Insbesondere schuldet der Kunde der Sparkasse / Bank bei einem wirksamen Widerruf aber keine Vorfälligkeitsentschädigung, sondern kann das Darlehen günstig ablösen oder zu dem heutigen Zinsniveau umschulden.

Es geht also meist um mehrere 1000 Euro, die im Falle eines wirksamen Widerrufs „gespart“ werden können.

 

  • Wer ist betroffen?

 

Es geht um Immobiliardarlehensverträge zwischen einem Verbraucher und einer Sparkasse / Bank, die in der Zeit zwischen dem 11. Juni 2010 und dem 20. März 2016 abgeschlossen worden sind.

Es muss sich also um den Kreditvertrag eines Verbrauchers handeln, der in diesem Zeitraum abgeschlossen und der dinglich abgesichert worden ist.

Sollte die Belehrung eine Möglichkeit zum Widerruf eröffnen, beispielsweise, weil der Beginn der Frist hinausgeschoben wird oder Fehler in der Belehrung enthalten sind, kann der Verbraucher einen solchen Vertrag grundsätzlich heute noch widerrufen.

 

Bevor ein Darlehensnehmer aber nun voreilig seine Vertragserklärung widerruft, sollte er sich besser erst einmal einen fachkundigen Rat dazu einholen, ob es erfolgsversprechende Angriffspunkte bei der verwendeten Belehrung gibt und welche etwaigen Risiken auf ihn zukommen könnten.

 

Sehr viele Rechtsschutzverträge decken diese Widerrufsfälle ab, so dass man z.B. durch einen Rechtsanwalt eine Deckungsanfrage bei seiner Rechtsschutzversicherung veranlassen kann.

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